Juli 2015, Venedig: fast 40°C im Schatten, kein Lüftchen regt sich in der Lagune. Tausende Touristen – allen voran Chinesen mit kleinen Sonnenschirmchen – wabern träge wie ein dicker Brei aus Lava durch die engen Gassen, ergießen sich in Gondeln, die sich durch die engen Kanäle quetschen. Uns rinnt der Schweiß aus jeder Pore. Die alten Fassaden knistern regelrecht in der brennenden Sonne. Es ist schon später Nachmittag und wir kaufen uns ungefähr an jeder zweiten Ecke neue Wasserflaschen. An diesem Tag habe ich ungefähr 9 Liter Wasser getrunken und fühle mich doch kurz vor dem Vertrocknen. Die Kinder schleichen durch die Gassen und lassen sich dennoch verzaubern von dieser Stadt, die alten Geschichten scheinen aus jedem Winkel zu kriechen.
Mein kleines Fräulein und ihre Freundin bleiben ungefähr an jedem der unzähligen Verkaufsstände und Läden stehen, an denen die typischen venezianischen Karnevalsmasken angeboten werden.
Made in China, unverkennbar. Aber so viel
Hach! und Glitzer, dass es Prinzessinnenherzen trotz der großen Hitze und Müdigkeit höher schlagen lässt. Ungefähr bei Stand 23 haben wir uns weichklopfen lassen: das Karnevalsoutfit – bestehend aus Maske und Fächer – wird eingekauft. Handeln war früher mal, jetzt gilt nur noch der Festpreis. Irgendein dummer Tourist findet sich immer, der zahlt.
Das ist der Zeitpunkt, an dem ich meinem kleinen Fräulein versprechen muss, dass ich ihr für den kommenden Fasching, der noch sieben lange Monate entfernt liegt, ein Kostüm nähen werde. Schaffe ich, den ich habe ja noch sooo lange Zeit.
* * *
Februar 2016, Hamburg: seit dem letzten Juli ist keine Woche vergangen, in der mich mein kleines Fräulein nicht gefragt hat, wann ich denn ihr Kleid nähen würde, ob ich schon Stoff gekauft hätte und wie es denn wohl (überhaupt) aussehen würde. Also alles wie immer. Dabei war doch so viel Zeit. Irgendwie hatte ich immer etwas schwarzes, wallendes mit Spitze und pinkem Glitzer im Kopf. Aber der richtige Stoff wollte mir einfach nicht über den Weg laufen. Als ich drölfzig Stoffe-Online-Shops durchgeklickt hatte, bin ich auf Party-Satin umgeschwenkt. Daraus musste sich doch was basteln lassen.
Ohne Schnittmuster, Plan und Bild habe ich einfach einen Warenkorb bei
Stoffe.de gefüllt, denn da gab es ungefähr das, was ich wollte. Spitze ging ja trotzdem und zur Sicherheit auch noch Tüll für einen voluminösen Rock.
Als die Stoffe dann kamen, haben die Farben leider alle gar nicht mehr so schön zusammengepasst, wie auf den Fotos im Online-Shop. Die schwarze Spitze (auch als solche beschrieben) entpuppte sich als dunkelblau und der Tüll als neonpink. Schon mal aussortiert, Planänderung.
Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, wo eine Zeichnung hilfreich gewesen wäre. Die musste das kleine Fräulein natürlich erstmal absegnen und sie selbst musste vermessen werden. Denn es war zu erwarten, dass sie wenige Tage vor Karneval an den entscheidenden Punkten nicht zur Anprobe verfügbar sein würde.
Ein Schnittmuster gab es immer noch nicht und auch Google half mir da nicht wirklich weiter. Oder weiß jemand ein „Schnittmuster Barock-Kostüm Kinder“, am besten
for free download, weil ja schließlich die Zeit davon lief? Es half nichts, ich musste selber ran. Und ich versichere euch, ich habe mich zu keinem Zeitpunkt gefragt „Kann ich das überhaupt?“, denn die Frage ehrlich zu beantworten, wäre keine Option gewesen und ich hätte das ganze Projekt einfach in die Tonne treten können. Da hätte ich mir aber was anhören müssen, alter Falter!
Ich habe also mein Hirn angestrengt und – jetzt bitte nicht lachen – das Shirt-Schnittmuster
Lina von Ki-ba-doo aus der Schublade gezogen. Das hatte alles, was ich brauchte: leicht tailliert geschnitten, Puffärmel.
Ich habe begonnen, die Schnittmusterteile mit Transparentpapier abzupausen und so zu verändern, wie ich sie brauchen würde: vorne mit einem Einsatz, Belege am Halsausschnitt und hinten am Reißverschluss. Da ich das Kleid aus Webware nähen wollte, musste ich ja einen „Einstieg“ schaffen. Und zwischendurch immer wieder die Maße verglichen.
Der Ausschnitt vorne entsteht durch den Einsatz, eine Rundung war hier also nicht nötig. Die ideale Länge des Oberteils habe ich vorher an meinem kleinen Fräulein vermessen.
Das halbe Rückenteil habe ich nochmal geteilt, um es etwas figurnaher machen zu können. Mit der eingenähten Paspel entsteht hier nochmal ein hübscher Akzent. Den Beleg an Ausschnitt und Reißverschluss habe ich ziemlich lang gemacht, damit er bis in den Rockteil reicht.
Für den Puffärmel habe ich das kurzärmelige Schnitteil von Lina als Grundlage verwendet. Den Ärmel an sich habe ich ein bisschen weiter konstruiert, damit er sich auch bequem tragen lässt, auch wenn er nicht aus elastischen Stoffen genäht ist. Nach der Anprobe habe ich ihn nochmal um mindestens 5 cm gekürzt, denn sonst wäre der untere Teil etwas klein geraten.
Für den Einsatz vorne in der Mitte habe ich erstmal eine lange und ziemlich breite Stoffbahn in Falten gebügelt. Gar nicht gleichmäßig und absichtlich hier und da ein bisschen schief. Die Pliseefalten sollte zuerst nach oben zweigen, aber dann dachte ich an die die Kekse und Muffins und Chips an Karneval und dass die nach oben offenen Falten ein prima Essensdepot für die ganzen Krümel wären und hab sie lieber umgedreht. Besser so
grins. Die Idee mit der Spitze kam mir erst später. Ich habe ganz tief in einer der Kisten gewühlt, wo ich alles reinpacke, was mir meine Mum so schickt. Wo sie das nur immer her hat? Ich schwankte ein bisschen zwischen der Pallietten-Bordüre und der Spitze, aber die Länge gab letztlich den Ausschlag. So geht das bis hinten um den Hals bis an den Reißverschluss und das sieht sehr hübsch aus.
Knöpfe hatte ich zuerst nur 8 bestellt – irgendwie zwei zu wenig. Aber auch da habe ich zum Glück eine große Kiste, in der ich immer was finde. Es geht doch nichts über einen großen Materialfundus! Die zwei oberen stechen jetzt mit ihren Glitzersteinchen ein bisschen hervor.
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Ich kann euch nur ermutigen und ermuntern, so was auch mal zu versuchen. Es macht so viel Spaß! Es ist ein bisschen Getüftel hier und Verändern da und ich versichere euch, dass ich überhaupt keinen Plan hatte, als ich anfing. Aber alles hat sich gefunden. Über die Ärmel habe ich mir erst Gedanken gemacht, als ich das Rumpfteil schon fertig hatte. Die Belege habe ich erst nachträglich zugeschnitten, den ich wollte nicht, dass der Reißverschluss kratzt. Und bis zuletzt war die dunkelblaue Spitze doch immer noch im Rennen, weil ich Spitze so schön gefunden hätte. Ist doch nur Fasching, fällt bestimmt keinem auf, hab ich mir die ganze Zeit gesagt. Wäre aber im Nachhinein echt schade gewesen, so ein farblicher Ausrutscher.
Das Rockteil sollte dann doch nicht zu voluminös werden, befand die „Contessa“-to-be. Also doch kein Tüll. Der kratzt außerdem. Wo sie recht hat, hat sie recht. Also versuchte ich mich an einem Tellerrock. Genau die passende Weite hinzubekommen, die dann auch an das Oberteil passt, war gar nicht so einfach. Das „zu viel“ an Weite habe ich später einfach vorne in einer Kellerfalte versteckt. Ich habe mir auf dem Boden auf einer großen Plane eine Stecknadel und einen Faden befestigt und habe mir so einen riesigen Zirkel gebastelt. Das ging erstaunlich gut! Da der Tellerrock aus vier Teilen bestand und hinten der Reißverschluss in die Naht musste, war vorne eine Naht. Durch die Kellerfalte ist die aber schön versteckt.
Die Länge des Schößchens hat sich aus dem Stoffrest ergeben, der noch über war. Das Schößchen hätte ich gern gefüttert, ging aber nicht. Der Stoff war wirklich bis auf den letzten Fitzel verbraucht. An so eine Rundung einen ordentlichen Saum zu bringen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Scheinbar hatte ich das schon geahnt, als ich auf Verdacht das schwarze Satin-Schrägband mitbestellt habe. Manchmal fügt sich eben alles! Das Schrägband habe ich übrigend auch als Kontrast an die Ärmel genäht und die Schleife ist auch daraus! Und die habe ich schön – wie es sich für eine zukünftige Kammerzofe gehört – mit der Hand festgenäht!
Damit das Schößchen nicht am Po klebt, wenn ich es in den Reißverschluss mit eingenäht hätte, habe ich es hinten geteilt. Und es fällt so schön übereinander, dass es überhaupt nicht auffällt, dass es hinten eine Lücke hat.
Naja, was soll ich sagen? Ich bin selbst total geflasht von dem Ergebnis! Das fühlt sich so toll an und fällt so wunderbar. Meine Schulter ist schon ganz schief vom selbst darauf klopfen
grins. Aber das ist genau das Gefühl, wenn man etwas fertig genäht hat – egal, ob es nur was ganz kleines, einfach ist oder eben so ein „Werk“: Stolz, Glück, Erstaunen über die eigenen Fähigkeiten. Dem darf man sich ruhig mal hingeben.
Und ihr dürft nicht vergessen: ich habe auch mal ganz klein angefangen. Ich konnte auch nicht wirklich nähen und wusste nicht, wie das alles heißt und wie das geht und damals, als ich mit dem Nähen begonnen habe, gab es noch keine Flut an Youtube-Tutorials, wo man sich quasi jeden Schritt erklären lassen kann. Aber Übung macht eben doch den Meister!
Und mein kleines Fräulein? Ich denke, die Bilder sprechen Bände! Sie fühlt sich wie eine Operndiva
in persona! Oder eben eine
Contessa, eine italienische Gräfin, auf dem Weg zum Ball. Damit ich keinen Fotohintergrund aufbauen muss (es war gestern schon spät und das Kleid noch immer nicht gesäumt...), habe ich sie einfach auf einen Hocker in den Flur gestellt. Die Fotolampfe links ins Schlafzimmer. Ging auch! Der Hocker ist übrigens dazu da, dass sie mit ihren Schultern den Lichtschalter verdeckt, den ich sonst aus jedem Bild hinter ihrem Hals hätte wegretuschieren müssen. Jaja, die ganz billigen Tricks der Fotografen
lach.
Lasst euch auch ein bisschen verzaubern von meiner kleinen Prinzessin. Ich wünsche allen Närrinnen und Narren einen fröhlichen Faschingsdienstag!
Helau, alaaf, aha oder was
auch sonst ihr euch alle so zuruft!